Wahnwelt des Traums

LANDESTHEATER / LA FINTA GIARDINIERA

11/12/22 Die konstruierten Liebes-Turbulenzen ergötzen in aktuellen Sit-coms wie Coming-of-age-Streams. Und Weinsteins gibt es es seit jeher: Mozarts La Finta Giardiniera als zeitloses Rokoko-Psychogramm der MeToo-Ära. Das Salzburger Landestheater zeigt in der Inszenierung von Dörte Lyssewski heftig auf – und heftig auf Menschliches hin.

Von Erhard Petzel

Natürlich schwelgt jeder Text zum Werk des 18jährigen Mozart im üblichen Lobpreis von überzeitlicher Gültigkeit und fein psychologischer Personencharakterisierung. Aber ist es nicht eher alte Klamotte mit willkürlichem Happyend? Die Aufführung im Landestheater beweist einmal mehr die Berechtigung für die übliche Euphorie gerade über dieses als Dramma giocoso bezeichnete Werk.

Nicht nur, dass sich die konstruierten Liebes-Turbulenzen auch in aktuellen Sit-coms und Coming-of-age-Streams finden lassen, die Frage von Gewaltbeziehungen hat uns gerade jetzt in einen stark sensibilisierten Raum versetzt. In den Vordergrund gerückt, wird dieses Problem in der Oper zwingend virulent.

Schon zur Ouvertüre wird in einem übermächtigen schwarzen Eck Contiono Belfiores Anschlag auf die Marchesa Violante Onesti dargestellt (charakterlich prächtig besetzt mit Gustavo Quaresma und Laura Incko). Später werden die beiden in diesem Raum, mit hoch gesetzter Baumwurzel zur diabolischen Wildnis verwandelt, verrückt werden. Hier wird die dramatische Lokalität in ihre symbolische Bedeutung gewandelt. Die Dunkelheit ist das Labyrinth des eigenen Innenlebens, die Wahnwelt des Traums, in der Traumata ihre Transformation zu Wahrheit erfahren können. Wenn kathartische Prozesse möglich sind. Das Erwachen im Anwesen des Podestà bestätigt diese Qualität. Gewalt aber nicht nur beim zentralen Paar, bei dem nach dem guten Ende wohl nichts gut ist, wenn Täter und Opfer zuvor durch die Hölle mussten.

Der frustrierte Ramiro (Dennis Orellana) erobert endlich seine Arminda (Victoria Leshkevich) nach einem veritablen Wutausbruch (Höhepunkt des Abends). Da sind dieser aber schon längst die erotischen Felle bezüglich des Grafen davon geschwommen.

Den Beinahe-Mörder hatte sie durch ihr hitziges Temperament beeindruckt mit der impulsiven Drohung, ihn bei ertappten Fremdgängen durch die Gegend zu watschen. Und Don Anchise, Podestà von Lagonero und damit auch oberster Vollzugsbeamter in seinem Revier (Luke Sinclair), stellt seinen weiblichen Bediensteten nicht weniger nach als der spätere Graf Almaviva. Dafür geht er bei der Paarfindung leer aus, während Roberto (George Humphreys) als treuer Bodyguard ein Netter ist, wofür er schließlich doch noch zu seinem Dienstbotenglück kommt.

Bühne und Kostüme Eva Musils unterstützen die psychologische Dimension und leisten darüber hinaus funktionale Aufgaben und Informationen auf Metaebenen. Der Raum im Palast mit Sicht in den Garten ist im strengen Bauhaus-Stil gehalten, alles vertäfelt in Mahagoni. Nach dem Einbruch des schwarzen Wahnsinns wird ein gefallener Baumstamm die Ordnung stören, sehr zur Verzweiflung des Podestà, der genau diese aufrecht zu erhalten hätte, bis zum Abgang durch einen Fensterschlitz, während die wilden Gefühle allgemeinen Aufruhr um ihn her schüren.

Der Smoking bildet ständische Kleiderordnung ab, Graf und Podestà tragen ihn schwarz, der Jungspund Ramiro blau. Der windige Charakter Belfiores zielt nicht nur auf die anvisierte Braut Arminda, sondern ist abgelenkt durch das schnippische Dienstmädchen Serpetta (Hazel McBain) in einem Kleid, das für ihre Stellung nur dadurch erklärt werden kann, dass sie einst vom Podestà favorisiert wurde. Marchesa Violante steckt als Gärtnerin Sandrina ständig Blessuren ein und endet als verschmutztes Lumpenbündel.

Musikalisch zeigt sich das Haus bei dieser ersten Oper nach der Renovierung in einer sehr guten Verfassung. Alle Rollen werden nicht nur charakterlich ausgelebt, sondern zumindest achtbar gesungen. Begeisterung ernteten Leshkevich für ihre satte Arminda und Dennis Orellana für seine verblüffende Kastratenrollen-Qualität. Das Mozarteumorchester unter Gabriel Venzago versprühte Klang aller Farben und Affekte. Die eine oder andere Irritation im Arienfluss wird bald ausgeschwemmt sein. Die deutschen Zwischentexte der Augsburger Singspiel-Fassung erleichtern den Zugang zur Handlung, sodass ein sehr klares und verständliches Gesamtkonzept in der Inszenierung Dörte Lyssewskis die Basis für diese Aufführung liefert. Die Begeisterung des Publikums belohnte diese bemerkenswerte Produktion.

La Finta Giardiniera – Aufführungen bis 1. März 2023 im Landetheater – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: LT / Tobias Witzgall