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Der Maikönig gewinnt

UNI MOZ / ALBERT HERRING

08/12/22 Sie ist eine der ganz wenigen ins Repertore eingegangenen musikalischen Komödien der Moderne: Benjamin Brittens komische Oper Albert Herring, uraufgeführt 1947 in Glyndebourne, eignet sich vorzüglich für eine Besetzung mit jungen Leuten: Dies bewies die zu Recht umjubelte Premiere an der Universität Mozarteum. Eine erfrischende Produktion – nichts wie hin!

Von Gottfried Franz Kasparek

Britten besaß eine nach 1945 selten anzutreffende „Theaterpranke“, erzählte immer packende Geschichten und blieb bei aller Modernität im Detail doch den Parametern Melodie und Rhythmus treu. Gleich vorweg – was der famose Dirigent Gernot Sahler mit seinem exakten und klangschönen 13köpfigen Kammerorchester und einem mit wahrer Herzenslust auf der Bühne agierenden Ensemble aus der funkelnden und hintergründig pointierten Partitur herausholt, ist bewundernswert. Bejubelte Premiere war am Mittwoch (7.12.) im Max-Schlereth-Saal der Uni Mozarteum.

Der Zauber britischer Volksmusik kommt ebenso zum Vorschein wie die köstlichen Zitate zwischen Händel und Wagner, mit denen das Stück gespickt ist. Wenn der „Maikönig“ und Titelheld zu seiner nächtlichen Mannwerdung aufbricht, sitzt die witzige Britten'sche Variante von Siegfrieds Hornrufen perfekt. Wenn sich die Trauer der vermeintlich Hinterbliebenen in einen Händel'schen Choral steigert, bleibt einem das Lachen im Halse stecken, ehe der derangierte junge Mann in ein hoffentlich bewussteres Leben zurückkehrt und sich alles in komische Fassungslosigkeit auflöst.

Auf der Bühne befindet sich keine englische Kleinstadt-Idylle, sondern eine weiße Halle, die als Salon der verzopft wohltätigen Lady Billows, Gemeindeamt, Klassenzimmer. Obst- und Gemüsegeschäft und Festsaal dient, von wechselndem Neonlicht bestrahlt. Yea Eun Hong bringt es als Bühnen- und Kostümbildnerin zustande, eine zeitlos kühle Atmosphäre verspießerten Kleinbürgertums zu gestalten, in der Regisseur Alexander von Pfeil herrlich pralles Theater macht. Das gehemmte Muttersöhnchen Albert ist dabei der weiße Fleck in der eher dunklen, von Doppelmoral gezeichneten Honoratioren-Gesellschaft. Seine Mutter darf ziemlich bunt sein, als fast „zigeunerhaft“ wirkende Greißlerin ebenso wie als plötzlich in eine Dame verwandelte Teilnehmerin am Maifest. Die Figuren sind scharf gezeichnet und akzentuiert geführt, mitunter ist die Stimmung knapp davor, ins Tragische zu kippen, etwa wenn Albert im Finale mit dem Nudelwalker seine vorher ziemlich schlagkräftige Mama züchtigt. In allem Jux pulsiert menschliche Verwirrung.

Wenn der grandios spielende und fabelhaft singende, diesmal manchmal an Peter Schreier erinnernde Tenor Johannes Hubmer nicht noch so jung wäre, könnte man sagen, er habe mit Albert Herring die Rolle seines Lebens gefunden. Als dummer, besser gesagt für dumm gehaltener Junge ist er ebenso eine echte Persönlichkeit wie als im Bier- und Whiskyrausch und wohl auch in weiblicher Gesellschaft gereifter Kraftlackel. Seine Mama singt Génesis López da Silva, aus Venezuelas „La Sistema“- Wunder stammend, mit leuchtendem Mezzo – und sie ist eine wahre „Volksschauspielerin“, die in ihrer Verzweiflung auch berühren kann. In Art und Kleidung „very british“, erfreut als Lady Billows die serbische Sopranistin Katarina Radovanović mit profunder Stimme. Wunderbar, wie glaubhaft sie die verschroben puritanische alte Dame darstellt.

Dass auch die Honoratiorenrunde, welche in Ermangelung eines geeigneten „unberührten“ Mädchens einen „Maikönig“ vorschlägt, sozusagen aus aller Damen und Herren Länder kommt, passt gut zur heutigen britischen Gesellschaft. Und wie sie sich alle dem nicht sterben wollenden viktorianischen Zeitgeist angepasst haben! Natürlich landet die pingelige Schulvorsteherin (Hee-Kyung Park) mit dem ansonsten würdevoll beschränkten und beleibten  Polizeikommandanten (Emil Ugrinov) nach der Maifeier kopulierend unter dem Tisch, was die Regie gottlob zwar ganz natürlich, aber doch dezent zeigt. Auch der Tugend predigende und vom Alkohol enthemmt die Sau rauslassende Pfarrer (Xiaofei Liu) und der heftig  bramarbisierende Bürgermeister (Chanyoung Kim) entfalten ihre inneren Gelüste mit handfester Komik und durchwegs frischen jungen Stimmen. Die patente Salzburgerin Miriam Bitschnau als ständig dienstbereit über die Bühne wuselnde Haushälterin der Lady bleibt als einzige standfest und trocken. Irgendwer muss ja das Geschirr wegräumen. Drei sehr junge, sehr begabte Sängerinnen erspielen die Kindergruppe zu allseitigem Vergnügen: Maria Luisa Geladari-Hanicz und Anja Rechberger als Emmie und Cissie sowie Thorhildur Steinunn Kristinsdòttir als langer, dünner Harry.

Ja, und zwei recht vernünftige Menschen gibt es auch in der zwar vom französischen Charme des Guy de Maupassant inspirierten, aber vom kongenialen Librettisten Eric Crozier in eine echte Dickens-Umwelt transportierten Chaostruppe. Die 19-jährige, schon ballett- und musicalerfahrene Wienerin Florentina Serles gibt der ein wenig zwischen ihrem Liebsten Sid und dem sonderbaren Albert pendelnden Nancy den Reiz erblühender Fraulichkeit und ein hübsches Timbre. Der in aller Jugend schon gestandene Südtiroler Bariton Jakob Mitterrutzner ist als eben dieser Sid mit seinem tollen Spieltalent und seiner kernigen Stimmkraft der eigentliche Spielmacher, der Albert Rum in die Limonade schüttet und der Gesellschaft den Spiegel vorhält. Einer Gesellschaft, die ja nicht bloß in Loxford/Suffolk leider noch immer nicht ausgestorben ist.

Albert Herring –  noch zu erleben Freitag (9.12.) 19 Uhr, Samstag (10.12.) 17 Uhr und Montag (12.12.) 19 Uhr im Max-Schlereth-Saal der Universität Mozarteum – teilweise alternativ besetzt, Johannes Hubmer ist in allen Vorstellungen vorgesehen – www.uni-mozarteum.at
Bilder: UniMoz / Judith Buss

 

 

 

 

 

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