Nixe in neuen Kleidern

TASCHEN OPERN FESTIVAL / HILFE! UNDINE GEHT

29/09/21 Ein altes Märchen diente der neunten Ausgabe der „Taschenopern“ als Vorlage – die Geschichte der Wasserfrau, die durch ihre Liebe zu einem Menschenmann Opfer und Täterin zu gleich wird. Im deutschen Sprachraum ist sie als Undine bekannt, kann aber auch Lorelei heißen, in Böhmen Rusalka und an Küsten als Meerjungfrau an Land steigen. Hilfe! Undine geht ist das Motto für vier Kurzopern.

Von Gottfried Franz Kasparek

Undine geht heißt eine Erzählung von Ingeborg Bachmann, über welche die Dichterin anno 1964 sagte: „Sie ist meinetwegen ein Selbstbekenntnis“. Aber „die Undine ist keine Frau, auch kein Lebewesen, sondern, um es mit Büchner zu sagen, die Kunst, ach die Kunst“. Und der Mann namens Hans „ist der Autor, also ich“. Nun. Man kann große Literatur vielschichtig  interpretieren und im Fabelwesen der wütenden und dennoch poetischen Dichtung durchaus wie Taschenopern-Dramaturg Hans-Peter Jahn eine „autarke Figur“ sehen, „die die ihr aufgepresste Frauenrolle befragt und hinterfragt“. Und ja. Die Kunst ist sprachlich weiblich. Dass der Mann dann „Objekt ihrer Anklage“ sein soll, obwohl er eigentlich ebenfalls eine Frau ist, macht die Sache kompliziert. Wie weit hinter Hans ein gewisser Hans Werner Henze stehen könnte, sei dahingestellt – der platonische beste Freund der Dichterin hat immerhin in den 50er-Jahren ein Undine-Ballett komponiert. Jedenfalls haben sich die beiden aktuellen Komponistinnen Bachmanns Undine geht als Vorlage gewählt.

Die Männer haben sich für die Alternative entschieden, für Friedrich de la Motte-Fouqués zutiefst romantische Novelle Undine, die einst E.T.A.Hoffmann und Lortzing zu Opern inspiriert hat. Da wird am Ende der Ritter Huldbrand von Undine „totgeweint“ (siehe dpk-Vorbericht). In Wolfgang Mitterers Kurzoper Der Kuss wird der clownesk verdreifachte Hans (Daniel Gloger, Altus, Eberhard Lorenz, Tenor, Gergely Kereszturi, Bass) allerdings von Undine (souverän Maria Coca Diaz) totgelacht. Es darf sogar gesungen werden in Mitterers routiniert pointierter – atmosphärisch elektronisches Wabern mit scharfen Instrumentalsequenzen mischender – Partitur. Gesungen wird auch in Fabio Nieders Oper in einem Aufzug Ein slowakisches Undinen-Märchen der authentischen Paulina und das Dekordrama des Wassermanns auf dem Trockenen.

Der Triestiner Komponist, dessen Musik man hierzulande öfter spielen sollte, stellt zwar die Oper in Frage, hat aber trotzdem eine solche geschrieben. Und noch dazu eine, die zu berühren vermag. Nicht nur, wenn zu Beginn das wundersame Lied an den Mond aus Dvořáks Rusalka in Schellackqualität vom Band erklingt, begleitet von den Wassergeräuschen des in einem Fass wohnhaften Wassermanns (herrlich komödiantisch: Tobias Schlierf, wie aus dem Bilderbuch gewandet, knurrend, murrend, grunzend).

Die wahrlich authentische, bezaubernd mädchenhafte slowakische Volkssängerin Paulina Solková singt ihre schwermütigen Lieder zwar in Zeitlupe, aber desto eindrucksvoller verbinden sie sich mit Nieders eigenartig archaischer Musik. Sie verliebt sich in den Dirigenten (kein seltener Fall in der Welt der Oper), aber leider unglücklich, und rettet sich vor dem tolpatschigen Wassermann in eine prächtig ausstaffierte Foklore-Modenschau, fürsorglich betreut von den Salzburger Chorknaben & Mädchen (famos einstudiert von Helmut Zeilner). Am Ende zerstört der Tolpatsch alles, aber Paulina/Rusalka bleibt in gemessen schöner Trauer zurück.

An dieser Stelle ein großes Kompliment an das brillante neunköpfige Ensemble NAMES im angedeuteten Orchestergraben. Kompliment an den auch als Sprecher perfekten musikalischen Leiter Peter Rundel. Kompliment an die ihn bei Mitterer und Gedizlioglu am Pult vertretenden Akademie-Mitglieder Natalia Salinas und Ante Sladoljev. Kompliment an den ideenreichen Regisseur Thierry Brühl, an Wolfgang Kahlhammer (Bühne) und Claudia Jung (Kostüme). Und Kompliment an das gesamte Team von „Klang 21“: Sie haben einprägsames, buntes, exakt die Mitte zwischen Stilisierung und Lebendigkeit treffendes Theater gemacht. Vorher und nach der Pause gibt es pointierte Einführungen von Hans-Peter Jahn, eingeleitet von Klavierarrangements aus Schuberts Schwanengesang.

Nach der Pause sorgt die Komponistin Zeynep Gedizlioglu in ihrem Stück Undine - die Abwesende für eine virtuose Parade all der Dinge, die singende Menschen heutzutage auch tun müssen, wenn sie „Neue Musik“ machen – schreien, jaulen, brummen, krächzen und in irrwitzigen Tonlagen heulen und jauchzen. Szenisch erschließt sich nicht ganz, was das mit dem Thema zu tun haben soll. Es könnte auch eine Kostümprobe für Madama Butterfly mit der bewundernswerten Vokalartistin Sachika Ito, ihrer Garderobiere Michaela Mehring und den dienenden Herren Gloger und Lorenz sein – wäre da nicht ein Bub, der mit einem Einrad herumfährt und der Diva die Armbrust Amors in die Hände drückt, die sie, im schwarzen Trikot endlich ihrer fernöstlichen Festgewänder entledigt, ins Publikum richtet.

Das Finale bildet Undine geht! von Iris ter Schiphorst, die eine Spezialistin für effektvolle, gar nicht so verfremdete Aneignungen zwischen Geräusch-Avantgarde und Techno, Popmusik und Verdi-Arien ist, sodass einem nicht fad werden kann. Sie macht das mit handfestem Sinn für theatralische Aktionen und verwendet geschickt Bachmann-Originaltexte. Undine ist hier eine Schauspielerin (die charismatische Katharina Brenner), Hans ein singender und sprechender Cellist (der in allen seinen Aufgaben perfekte Hans Woudenberg). Dazu kommt ein geheimnisvoll girrendes, aber auch ein Lied der Björk zitierendes Wesen namens Camille (die patente Frauke Aulbert). Am Ende, ehe der Cellist zwischen der unerbittlichen Undine und seinem Instrument verendet, darf Sachiko Ito vorführen, dass sie Verdis Violetta singen kann. Lebhafter Beifall für einen experimentellen, sehens- und hörenwerten Abend.

Weitere Aufführungen der Taschenopern in der Szene Salzburg – Donnerstag (30.9.), Freitag (1.10.) und Samstag (2.10.) - www.szene-salzburg.net
Bilder: Klang21 / Wolfgang Lienbacher
Zum dpk-Vorbericht samt Todeskuss-Finale
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