Keine sexual-hygienische Endlösung

LANDESTHEATER / MOZART-DA PONTE-ZYKLUS

15/05/19 „Mit der Trias der Da-Ponte-Opern beginnt das, was wir bis heute 'Repertoire' nennen“, schrieb Wilhelm Sinkovicz 2013 in der Presse. „Bis zu diesem Zeitpunkt warteten Kenner und Liebhaber Jahr für Jahr, Spielzeit für Spielzeit auf neues 'Futter'. Der Theaterbetrieb lebte von Uraufführungen.“ Heutige Freaks werden „unrund“, wenn in einer Spielzeit weder Cosí, noch Figaro noch Don Giovanni gespielt wird.

Von Heidemarie Klabacher

Hohe Schule des Repertoires ist es, die drei Mozart-Opern auf Texte von Lorenzo da Ponte an drei aufeinanderfolgenden Tagen erleben zu können. „Das kommt seltener vor als man denkt“, schreibt das Landestheater. Sängerinnen, Sänger, Mozarteumorchester, Technik und Leitungsteam im Haus am Makartplatz wagen den Kraftaktakt und bringen von Freitag (17.5.) bis Sonntag (19.5.) aufeinanderfolgend mit Così fan tutte, Le Nozze di Figaro und Don Giovanni nicht nur die wichtigsten und anspruchsvollsten Mozartopern, sondern drei der wichtigsten – weil facettenreichsten Werke – der Operngeschichte.

„In Salzburg war dies bisher nur je einmal 1922 und 1960 bei den Festspielen möglich, wobei diese Produktionen nicht von einem Dirigenten, Regisseur und Ensemble gestaltet wurden“, schreibt das Landestheater – und hat damit beinah präzise recherchiert. Im Mozartjahr 2006, als im Festspielsommer unter der legendären Devise „Mozart 22“ alle Musiktheaterwerke Mozarts auf dem Programm standen, gab es auch drei vollständige Zyklen der drei da Ponte-Opern, aber – zugegebenermaßen – mit je einmal einem Abend Pause dazwischen. Und musikalische Leitung und Regie lagen damals auch in verschiedenen Händen.

Wohingegen die nun anstehende zyklische Aufführung am Landestheater „die geschlossene Handschrift des italienischen Regisseurs Jacopo Spirei trägt“ und Adrian Kelly das Mozarteumorchester dirigiert. „Spirei holt die Werke ins Heute und gleichzeitig lässt er die Musik Mozarts den Rhythmus der szenischen Entwicklung bestimmen.“

Stimmt das? Blicken wir zurück. Unter dem Titel Desperate Housemen hieß es 2011 auf DrehPunktKultur über den archetypischen Verführer: „Don Giovanni - in der Neuen Welt angekommen - ist Nichts und Niemand mehr. Simon Schnorr gibt statt des charismatischen Verführers einen jungen Burschen von heute, perspektivenlos, daher zur Gewalttätigkeit neigend, jämmerlich eindimensional. Das fällt bei den 'Personen und ihren Darstellern' in dieser Lesart überhaupt auf: Sie sind am Ende des Stücks genauso, wie sie am Anfang waren, serientaugliche soap opera-Figuren. Gut vorstellen kann man sich Episode 143 der Staffel 17: Don Giovanni-Nebenan hat sich von dem Horrortrip jener Halloween-Nacht, in der er wegen akuter multipler Persönlichkeitsstörung in die Psychiatrie eingeliefert worden war, wieder erholt, und denkt an die Tochter des Methodistenpfarrers. Spezi Leporello steht mit der Sporttasche voller Bierdosen bereit, für neue Taten… Endlos Schleife statt Mythos? Warum nicht. Bei aller scheinbaren Harmlosigkeit lädt die Inszenierung Jacopo Spirei zum Nachdenken ein.“ Dem doch deutlich spürbaren Vorbehalt gegenüber der Szene stand eindeutiges Lob für die Musik gegenüber: „Musikalisch ist der neue Don Giovanni im Landetheater ein Schmuckstück.“

Die Ensemble-Leistung im flotten Vierer lobten wir anno 2013 ohne Vorbehalte unter dem Titel Advanced Studies in Love-Stile: „Das Salzburger Landestheater bemüht sich um ein Mozart-Ensemble. Das Wort Ensemble gehört doppelt unterstrichen. Cosi fan tutte lebt und fällt ja mit der Gruppen-Tauglichkeit der Sänger. Daran hat man konsequent gearbeitet. Das Programmheft weist eigens einen Sprach-Coach aus, und es ist wirklich ein gleichgestimmtes junges Team beisammen, das sich hören lassen kann. Und wenn Leo Hussain – charmant, aber in seinen Tempovorstellungen manchmal wohl noch nicht ganz vorhersehbar für die Sänger – es nicht gar zu bunt treibt, läuft auch wirklich alles wie am Schnürl.“

Die Aktualität der Inszenierung lobten wir erst voriges Jahr angesichts des übergriffigen und treulosen Grafen in Le Nozze die Figaro: „Wenn Susanna, Barberina, Marcellina und alle übrigen weiblichen Angestellten des Haushalts am Ende dem selbstgerechten Grafen geschlossen mit den Lettern #Me too gegenübertreten, bleibt ihm keine andere Wahl als zum contessa perdono vor der Gräfin in die Knie zu gehen: Die Brisanz des Folle Journée von Beaumarchais' Librettovorlage zu Lorenzo Da Pontes theaterwirksamem Figaro-Sujet und die Aufmüpfigkeit abhängiger Untergebener gegenüber der mächtigen Obrigkeit, findet ihren brandaktuellen Bezug in der gegenwärtigen Thematik des sexuellen Machtmissbrauchs.“

Auch die Don Giovanni-Wiederaufnahme 2016 brachte wieder Spannendes zu Tage: „Der Regisseur schwingt nicht die Moralkeule und er vertraut rechtens darauf, dass sich das Psychogramm des Verführers aus der Musik (auf die er sehr genau hört beim Bebildern) und nicht aus aufgesetzten Regie-Zutaten erschließt. Das hat etwas leichtfüßig Ironisches, Verspieltes bis in die Schlussszenen hinein. Wenn plötzlich viele Don Giovannis auf der Bühne sind und sich quasi durchs Hintertürl gen Hölle vertschüssen, darf man getrost annehmen, dass der Komtur keine sexualhygienische Endlösung zuwege gebracht hat. Und prompt erleben wir im Lieto fine Leporello als einen im Ensemble, der gewiss infiziert ist mit dem Don-Giovanni-Virus...“

Gelegenheit zur Neu-Infzierung gibt es von 17. bis 19. Mai und noch einmal von 31. Mai bis 2. Juni im Landestheater - www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Salzburger Landestheater / Anna-Maria Löffelberger